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Die Kartoffel-Reis-Diät als Diagnostiktool?
Häufig wird bei Verdacht auf Histaminintoleranz eine Kartoffel-Reis-Diät empfohlen, da Kartoffeln und Reis sehr histaminarm sind. Damit kann sich innerhalb weniger Tage feststellen lassen, ob Nahrungs-Histamin tatsächlich in der Symptomatik eine Rolle spielt. Soviel zur Theorie.
Praktisch kann es jedoch bei einer Kartoffel-Reis-Diät weiterhin zu Histaminsymptomen kommen bzw. der Histaminspiegel weiterhin erhöht bleiben. Und zwar dann, wenn die hier im Artikel genannten Ursachen bei der betroffenen Person eine Rolle spielen.
Eine fehlgeschlagene Kartoffel-Reis-Diät kann in solchen Fällen dazu führen, dass falsche Schlüsse gezogen werden und den Betroffenen die „richtige“ Therapie und Ernährung verwehrt bleibt.
Symptome trotz Kartoffel-Reis-Diät
Kartoffeln und Reis zählen zu den histaminarmen Lebensmitteln. Man könnte also davon ausgehen, dass bei dieser harten Form der Auslassdiät keine Symptome auftreten dürften, wenn eine Histaminproblematik besteht.
Es gibt viele Therapeuten, die eine Histaminintoleranz ausschließen, wenn die Kartoffel-Reis-Diät die Symptome nicht lindert. Sollte der Patient dann weiterhin darauf bestehen, dass er sich einer Intoleranz sicher sei, so kann die Konsequenz daraus nicht selten zu einer psychiatrischen Diagnose führen.
Welche Symptome durch einen zu hohen Histaminspiegel ausgelöst werden können, kannst du hier nachlesen: “Histamin – Unser Freund und Feind“
Leider ist es nicht einfach, ein Histaminproblem zu erkennen, und es lässt sich nicht immer nur durch diese Auslassdiät feststellen. So kann es in manchen Fällen gerade bei dieser eingeschränkten Ernährung zu noch stärkeren Symptomen kommen. Warum das so sein kann, erfährst du jetzt.
Abbildung 1 Nur weil die Symptome trotz einer Histamin-Auslassdiät nicht besser werden, muss ein Histaminproblem nicht zwingend ausgeschlossen sein.
Wenn andere Unverträglichkeiten das Histaminproblem verursachen
Histamin kann nicht nur extern über die Ernährung und über die Produktion durch Darmbakterien in den Körper gelangen, sondern kann auch vom Körper selbst aus Immunzellen (hauptsächlich Mastzellen und Basophilen) ausgeschüttet werden.1,2 Dies geschieht zum Beispiel bei einer Allergie oder Pseudoallergie.1,3
Histaminsymptome aufgrund von IgE-Allergien und Kreuzallergien
Bei einer IgE-vermittelten Allergie, der sogenannten Typ-I-Allergie, kommt es nach dem Verzehr oder Kontakt zum Allergen zu einer körpereigenen Histaminausschüttung.
IgE-Allergie
Bei einer IgE-Allergie auf Reis und/oder Kartoffeln kann die Kartoffel-Reis-Auslassdiät zu einer Degranulation der Mastzellen und Basophilen führen. Dabei wird u.a. auch Histamin aus diesen Immunzellen freigesetzt. So kann es trotz histaminarmer Kost zu Histaminsymptomen kommen.4
Kreuzallergien
Das Latex-Frucht-Syndrom: Bei einer Allergie auf Naturlatex kann es zu einer Kreuzallergie auf bestimmte Nahrungsmittel kommen, was wie bei einer IgE-Allergie zur körpereigenen Histaminausschüttung führen kann. Betroffene Nahrungsmittel sind z.B.: Ananas, Avocado, Banane, Feige, Kiwi, Mango, Maracuja, Papaya, Pfirsich, Kartoffel, Tomate, Esskastanie, Spargel, Schwarzwurzel, Sellerie, Acerola-Kirsche.5,6,17
Auch bestimmte Zimmerpflanzen können bei einer Latexallergie gesundheitliche Beschwerden wie Augenlid- oder Schleimhautschwellungen auslösen: Birkenfeige (Ficus benjamina), Gummibaum, Kakteen, Wolfsmilch-Gewächse, Weihnachtsstern.6
Die Baumpollen-Kreuzallergie: Bei einer Allergie auf Baumpollen (wie Birke, Erle, Hasel) kann es zu einer Kreuzallergie auf bestimmte Nahrungsmittel kommen, was auch wieder zur körpereigenen Histaminausschüttung führen kann. Betroffene Nahrungsmittel sind z.B.: Apfel, Haselnuss, Karotte, Kartoffel, Kirsche, grüne Kiwi, Nektarine, Pfirsich, Aprikose, Pflaume, Sellerie, Soja, Feige.17
Abbildung 2 Eine Allergie auf Baumpollen kann im Rahmen einer Kreuzallergie zur Histaminausschüttung beim Verzehr von Kartoffeln führen.
Histaminsymptome als Folge von Pseudoallergie oder Typ-IV-Allergie
Nicht nur Typ-I-Allergien können zu einer Histaminausschüttung von Immunzellen führen, auch Pseudoallergene und Typ-IV-Allergene können dies verursachen.
Die Salicylatintoleranz (SI)
Viele Kartoffelsorten und manche Reissorten enthalten Salicylate. Eine Unverträglichkeit auf Salicylate kann als Pseudoallergie histaminvermittelt ablaufen. Dadurch kann auch in diesem Fall der Histaminspiegel trotz histaminarmer Ernährung erhöht bleiben und für Symptome sorgen.3,7
Kartoffeln bei SI: Spätkartoffeln und weißfleischige Kartoffeln sind meist besser verträglich als Frühkartoffeln. Doch es kommt auch auf die Sorte an, wie dick sie geschält wurden und ob sie vorher gewässert wurden. Auch die Zubereitungsart (Kochen, Backen, Frittieren) kann eine Rolle spielen.
Reis bei SI: Auch hier kommt es auf die Sorte an. Duftreis, Parboiled Reis, Vollkornreis und Wildreis werden meist schlechter vertragen. Eine gute Verträglichkeit zeigen häufig Basmatireis und Rundkornreis.
Ausführliche Informationen zur Salicylatintoleranz findest du in unserer Blogreihe:
Abbildung 3 Bei einer Salicylatintoleranz können viele histaminarme Obst- und Gemüsesorten zu einer pseudoallergischen Reaktion führen und den Histaminspiegel ansteigen lassen.
Orale Nickelallergie
Beim oralen Nickelallergiesyndrom (ONAS) handelt es sich um eine Typ-IV-Allergie (Spättyp-Allergie), bei der es ebenfalls zur körpereigenen Histaminausschüttung kommen kann. Wer bereits an einer Nickel-Kontaktallergie leidet, sollte hier besonders hellhörig werden.
Bei einer oralen Nickelallergie kann bereits die Zubereitung der Mahlzeit entscheidend sein. Kochen und Backen mit Metallgeschirr kann solche hohen Mengen an Nickel ins Essen freisetzen, dass sogar an sich nickelarme Lebensmittel zu Symptomen führen können.8,16
Reis und Kartoffeln bei ONAS: Nickel sitzt vor allem in der Schale. Vollkornreis und Kartoffeln mit Schale können hier zu Unverträglichkeitsreaktionen führen.
Mehr zur oralen Nickelallergie findest du im Gastartikel von Ulrike Werschke: “Der Einfluss von Nickel auf die Histaminintoleranz“
Abbildung 4 Bei einer bestehenden Nickelkontaktallergie und gleichzeitiger Histaminproblematik kann es hilfreich sein mal einen genaueren Blick auf die orale Nickelallergie zu werfen.
Histaminsymptome durch Unverträglichkeit auf Nachtschattengewächse
Kartoffeln zählen zu den Nachtschattengewächsen und enthalten giftige Glykoalkaloide, wie Solanin, die der Gesundheit schaden können.9 Bei einer Solaninvergiftung kann es zu einem Syndrom mit gastrointesinalen und neurologischen Beschwerden kommen. Auch Hautausschläge können ausgelöst werden.10 Solanin aus Kartoffeln ist zudem in der Lage die Darmbarriere zu schwächen und entzündliche Darmerkrankungen zu verschlimmern.11
Bei Kartoffeln steigt der Solaningehalt noch weiter an, sobald sie keimen und grün werden. Um Gesundheitsrisiken zu vermeiden, rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dringend davon ab, gekeimte Kartoffeln oder Kartoffeln mit grünen Stellen zu verzehren.12
Solanin kann die Funktion eines wichtigen Enzyms namens Cholinesterase beeinflussen. Dieses Enzym baut den Neurotransmitter Acetylcholin ab, der für die Reizweiterleitung in Nervenzellen zuständig ist. Solanin kann die Enzymaktivität hemmen, was bei einem bereits bestehenden Cholinesterase-Mangel (genetisch oder erworben) zu einem Überangebot an Acetylcholin führen kann. Hierdurch können gesundheitliche Beschwerden ausgelöst werden, die dem cholinergen Syndrom ähneln.13 Durch den erhöhten Spiegel an Acetylcholin kann es zu einer Überstimulation des Parasympathikus (Vagusnerv) kommen und Symptome verursachen wie Durchfall, Bradykardie, Speichelfluss, Schwitzen, Benommenheit, Miosis (Pupillenverengung).14
Das Enzym Cholinesterase ist auch z.B. für den Abbau des Narkosemittels Mivacurium zuständig. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Ernährung mit Solanin aus Kartoffeln und Tomaten in der Lage ist, den Abbau des Narkosemittels zu beeinflussen.15
Abbildung 5 Kartoffeln enthalten giftige Glykoalkaloide, wie Solanin, die unter bestimmten Umständen zu gesundheitlichen Beschwerden führen können.
Ist die Kartoffel-Reis-Diät nun nützlich oder nicht?
Du kannst dir die Antwort sicher schon denken: Es ist wie immer individuell.
Wenn jemand „nur“ ein Problem mit Histamin hat, dann kann diese extreme Form der histaminarmen Ernährung eine Entlastung mit sich bringen und viele Symptome in meist wenigen Tagen in Luft auflösen.
Für Betroffene, die aber gleichzeitig noch eine weitere Allergie oder Unverträglichkeit haben, kann diese Form der Auslassdiät weiterhin die Symptome aufrechterhalten oder teilweise sogar verschlimmern. Dadurch könnten falsche Schlüsse in Bezug auf eine Histaminintoleranz gezogen werden.
Die Kartoffel-Reis-Diät ist ein Extremum und sollte nicht dauerhaft geführt werden. Die damit einhergehenden starken Nährstoffmängel können innerhalb weniger Tage bis Wochen eintreten und weitere gesundheitliche Symptome verursachen oder bestehende Beschwerden verstärken.
Bei welchen Gegebenheiten es sonst noch zu Histaminsymptomen durch eine Kartoffel-Reis-Diät kommen kann, erfährst du demnächst in einem weiteren Blogartikel. Abonniere den Newsletter, wenn du nichts verpassen möchtest.
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