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Salicylatintoleranz (SI), NSAR-Intoleranz, Allergie auf Aspirin, Samter-Trias, Morbus Samter, AERD (Aspirin-exacerbated respiratory disease), Aspirin-induzierte Urtikaria, Aspirin-induziertes Asthma, u.v.m. Es gibt viele Erkrankungen bei denen Aspirin und/oder Salicylsäure zu gesundheitlichen Beschwerden führen kann.
Nicht nur wer offensichtlich auf Aspirin mit (pseudo)allergischen Symptomen reagiert, kann eine SI haben. Es gibt auch viele Lebensmittel, die große Mengen Salicylate enthalten und Symptome auslösen können. Eine erhöhte Neigung zur wiederkehrenden Bildung von Nasenpolypen und Nasennebenhöhlenpolypen kann auch darauf hindeuten.1–3
Falls du eine diagnostizierte Allergie auf Aspirin hast und trotz Verzicht auf dieses Medikament an den unten genannten Beschwerden leidest, solltest du dir möglicherweise die SI etwas genauer ansehen.
Die Allergie auf Aspirin – Eine Pseudoallergie
Die Allergie auf Aspirin und auch die SI sind keine Typ-1-Allergie, bei der IgE-Antikörper gebildet werden, die dann über Fcε-Rezeptoren die Mastzellen aktivieren. Deshalb wird sie auch als Pseudoallergie oder nicht-allergische Hypersensitivität bezeichnet. Substanzen, die über andere Rezeptoren wie den Fcε zur Mastzellaktivierung führen, nennt man Pseudoallergene. Auch wenn der Begriff Pseudoallergie eher harmlos klingt, so ist sie in der Stärke der Symptome nicht weniger schlimm und auch nicht ungefährlicher als eine IgE-vermittelte Allergie.4
Bei der Aktivierung der Mastzellen werden viele hundert Botenstoffe ausgeschüttet, darunter auch Histamin. Durch die Erhöhung des Histaminspiegels kann es dadurch auch zu einer Histaminose kommen!3
Weitere Infos zur Histaminose/Histaminintoleranz im Artikel: “Histamin – unser Freund und Feind”
Bei einer stark ausgeprägten Unverträglichkeit kann sich sogar eine Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmittelsalicylaten2,3, Aromen3 und Duftstoffen5 ausbilden. Die Toleranzgrenze der Betroffenen ist stark individuell und kann im Laufe des Lebens schwanken, sowie von vielen weiteren Faktoren beeinflusst werden.
Symptome
Mehr als die Hälfte der Betroffenen leidet an schwerem chronischem Asthma. Patienten mit milden Symptomen reagieren hingegen nur bei Einnahme von NSAR mit Asthma-Schüben.
Auch eine verstopfte oder laufende Nase, sowie die eosinophile Rhinosinusitis zählen zu den beobachteten Beschwerden.3 Ein Drittel der Betroffenen zeigte in einer Studie auch gastroenterologische Symptome.3 Oft kommt es auch zu Summationseffekten, sodass erst ab einer gewissen Gesamtmenge an Salicylsäure die Symptome ausgelöst werden.4
Die häufigsten Symptome:
- Rhinosinusitis6
- Asthma bronchiale6
- Nasenpolypen, Nasennebenhöhlenpolypen6
- Nasenschwellungen und -sekretion4
- Bauchschmerzen und -schwellungen3,4
- Fibrose2
- Blähungen, Koliken2,4
- Motilitäts- und Peristaltikstörungen4
- Übelkeit3
- Durchfall3
- Reizdarmsyndrom2
- Kolitis (inkl. Blutungen)4,6
- Brustschmerzen, Brustenge3
- Akute und chronische Hautreaktionen4
- Juckreiz3
- Hautausschlag3
- Urtikaria3
- Angioödem, Larynxödem2,4
- Kreislaufdysregulation6
- Tachykardie4
- Fieber4
Die Erkrankung Samter-Trias
Samter-Trias, auch Morbus Samter genannt, ist durch das Auftreten der 3 Faktoren Asthma bronchiale, chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen und Aspirin-Überempfindlichkeit charakterisiert. Das Krankheitsbild ist dem medizinischen Fachbereich der HNO-Heilkunde zugeordnet, weshalb für Personen mit dem Verdacht auf eine Aspirin-Unverträglichkeit auch der HNO-Facharzt (mit Zusatzbezeichnung Allergologie) oft eine gute Anlaufstelle sein kann.7
Salicylate im Alltag
Natürliche Salicylate in Nahrungsmitteln
Salicylate sind die Salze der Salicylsäure. Ihren Namen haben sie von der Weide (lat. Salix), da in der Weidenrinde besonders viel Salicylate enthalten sind und diese bereits Jahrhunderte vor dem „Aspirin“ zur Fiebersenkung und gegen Schmerzen eingesetzt wurde.4 Sie sind Pflanzenhormone und kommen daher in vielen Lebensmitteln natürlicherweise vor (z.B. Gewürze/Kräuter, Nüsse, Obst, Gemüse). Salicylate sind bioaktive Substanzen, was bedeutet, dass sie eine Wirkung auf lebendiges Gewebe haben.2
Salicylsäure reguliert verschiedene Stressreaktionen in Pflanzen, wie Resistenz gegen Krankheitserreger, Fraßschutz gegen Insekten, oder auch physiologische Funktionen, wie Blüte und Thermogenese.2
In Pflanzen kommen Salicylate in zwei Hauptformen vor (siehe Abb. 1):
- Freie Salicylsäure2
- Gebundenes Salicylat, z.B. als Carboxy-Ester (Methylsalicylat) oder Phenylglykoside (Salicin)2
Abbildung 1 Die Hauptformen von Salicylsäure und Salicylaten in Pflanzen.
Die Anbaumethode der Pflanzen spielt dabei zusätzlich eine große Rolle. Biologisch angebaute Pflanzen müssen mehr Salicylsäure bilden, um sich vor Fraßfeinden zu schützen. Daher können leider gerade Bio-Produkte bei einer SI sogar weniger verträglich sein als die konventionell angebauten Lebensmittel.1 Unserer Erfahrung nach ist das aber nicht generell so. Es kann sein, dass man einzelne Gemüsearten aus dem Biolandbau besser oder gleich gut verträgt, wie die aus konventionellem Anbau. Es ist also viel Ausprobieren erforderlich.
Einige Beispiele für Lebensmittel mit hohem Salicylsäuregehalt
- Gewürze/Kräuter: Curry, Chili, Minze, Thymian, Zimt, Anis8
- Obst: Trockenobst, Beerenobst (Himbeeren, Erdbeere,…), Aprikosen, Datteln, Ananas, Zitrusfrüchte4,8
- Nüsse und Samen: Mandel, Wasserkastanie, Erdnuss8
- Gemüse: Chicoree, Champignons, grüne Oliven, Endiviensalat8
Einige Beispiele für Lebensmittel mit niedrigem Salicylsäuregehalt
- Getreide: Hafer, Reis8
- Obst: Birne, Apfel “Golden Delicious“8
- Gemüse: Bambussprossen, Linsen, Mungbohnen8
- Tierische Lebensmittel: Fleisch, Eier1
Tipp: Obst und Gemüse ist geschält besser verträglich, da vorallem die Schale reich an Salicylaten ist.8
Umfangreiche Listen zum Salicylatgehalt findest du z. B. in diversen Apps zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Abbildung 2 Bei einer SI kann eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse zu einer Herausforderung werden, da gerade in diesen Lebensmitteln viele Salicylate enthalten sind. Eine “gesunde Ernährung” sollte daher auf die Betroffenen und ihre Bedürfnisse abgestimmt sein. Vorallem bei einer veganen Ernährungsform können dadurch sehr wenige verträgliche Lebensmittel übrig bleiben.
Zusatzstoffe und Konservierungsmittel in Lebensmitteln
- Tartrazin9 und andere Farbstoffe10
- Benzoate11
- Aromen5
Salicylate in Medikamenten, Salben und Nahrungsergänzungsmitteln
Aber auch einige Medikamente, Salben oder Nahrungsergänzungsmittel können Wirkstoffe enthalten, die Symptome auslösen. Dabei kann es sich um Salicylsäure selbst, ihre Strukturverwandten (“strukturelle Analoga”) oder Substanzen mit demselben Wirkprofil (“funktionelle Analoga”) handeln (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3 Während Mesalazin ein struktureller Verwandter von Acetylsalicylsäure ist, ist Diclofenac ein funktioneller Verwandter mit gleicher COX-hemmender Wirkung, aber anderer chemischer Struktur.
Beispiele:
- Wirkstoffe aus der NSAR-Substanzklasse: Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), Ibuprofen, Diclofenac1
- Metamizol/Novaminsulfon1
- Mesalazin (Therapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen)1
- Cromoglicinat (Mastzellstabilisator)1
- Bismutsubsalicylat (“Pepto-Bismol”)12
- Pharmazeut. Cremes zur Behandlung von Akne (Salicylsäure, BHA = „Beta-Hydroxy-Acid“)
- Topische Therapeutika gegen Warzen und zum Ablösen von Hornhaut enthalten meist Salicylsäure
- Phytotherapeutika (Pflanzenwirkstoffe)2
- Para-Aminobenzoesäure „PABA“ (früher fälschlicherweise als Vitamin B10 bezeichnet, daher manchmal in B-Komplexen enthalten)12
- Polyphenole, wie z.B. Curcumin, Kaempferol, Apigenin13
Die genannten Substanzen sind nicht grundsätzlich unverträglich. Es gibt auch immer wieder Fälle bei denen z.B. Ibuprofen oder Cromoglicinsäure verträglich sein können.
Salicylate in Körperpflege und Kosmetik
- Parabene3 und Benzoate/Benzoesäure11 (Konservierungsmittel in Duschgel, Shampoo, Creme, Make-up, Zahnpasta…)
- Minzaroma, Menthol3 (Zahnpasta, Mundspüllösung, Erkältungsbäder)
- Ethylhexylsalicylat12 (UV-Filter in Sonnencreme)
- Öle und Extrakte aus salicylathaltigen Pflanzen, z. B. Ringelblume (Achtung bei Naturkosmetik)2,12
- Duftstoffe und ätherische Öle, wie z.B. Thymol (Thymian, Oregano, Bohnenkraut)5, Minze/Menthol5, Phenylsalicylat12, Methylsalicylat (Wintergrünöl)5
ACHTUNG: nicht alle Duftstoffe sind deklarationspflichtig. Die meisten dürfen auf den Inhaltsstofflisten unter dem Wort „Parfum“ oder „Fragrance“ zusammengefasst werden. Hinter diesem Begriff kann sich eine beliebige Anzahl zwischen einem und hunderten Duftstoffen verstecken.
Salicylate in Putz- und Waschmittel
- Duftstoffe und ätherische Öle, wie z.B. Minze/Menthol5, Methylsalicylat (Wintergrünöl)5, Phenylsalicylate12 (in Waschmittel, Weichspüler, Spülmittel, Spülmaschinentabs, Desinfektionsmittel, Allzweckreiniger, Glasreiniger, WC-Reiniger,…)
- Öle und Extrakte aus salicylathaltigen Pflanzen2
- Parabene und Benzoate (Konservierungsmittel)3,5
- Stark allergene Substanzen, die bei Allergikern zu Reaktionen führen können, unabhängig einer SI, wie z.B. Isothiazolinone
Abbildung 4 Substanzen in Körperpflegeprodukten und Putzmitteln, die bei einer SI zu gesundheitlichen Beschwerden führen können.
Salicylate im Garten und der Natur
Da Salicylsäure natürlicherweise in Pflanzen vorkommt, können bei empfindlichen Personen auch Beschwerden auftreten, nachdem sie zu Pflanzen Kontakt hatten, wie z.B. bei der Gartenarbeit.
Wer trotz negativem Pollenallergietest trotzdem zur Pollensaison Allergiesymptome zeigt, könnte auch an einer SI leiden. Vor allem zur Birkenpollensaison gibt es hier Überschneidungen.12
Pflanzen mit hohem Salicylsäuregehalt in Blättern, Blüten, Früchten, Stängel, Knollen, Rinde und Wurzeln sind u.a.:12
- Akazie
- Birke
- Espe
- Hyazinthe (Abb. 5)
- Pappel
- Ringelblume
- Scheinbeere
- Tulpe
- Veilchen
- Weide
Abbildung 5 Wenn eine schöne Geste zur gesundheitlichen Belastung führt. Bei Kontakt zu Hyazinthen kann es bei einer SI oft zu Symptomen kommen.
Diagnostik
Hat man es durch die vielen Ernährungstagebücher, Auslassdiäten und akribische Detektivarbeit endlich geschafft aus dem Wald der Unverträglichkeiten die SI aufzuspüren, folgt nun die Diagnostik.
Diese ist jedoch sehr herausfordernd, und das nicht nur weil die SI in vielen medizinischen Fachbereichen noch recht unbekannt ist.
Eine Intoleranz gegenüber Aspirin wird standardmäßig durch einen oralen/nasalen/intravenösen Provokationstest während eines stationären Klinikaufenthaltes nachgewiesen. Jedoch ist dieses Vorgehen bei Personen mit schweren Überempfindlichkeitsreaktionen kontraindiziert.2
Hinzu kommt, dass nicht Jeder Sofortreaktionen zeigt. Daher ist diese Methode nur bei schnell einsetzenden Reaktionen geeignet.6
Eine Alternative bietet hier der FET-Test (funktioneller Eicosanoid-Test), den die Medizinische Klinik III der Uniklinik Erlangen anbietet. Der Bluttest kann telefonisch angefordert werden. (Stand Januar 2023: Der Funktionelle Eicosanoid-Test wird ab 2023 in Erlangen leider nicht mehr angeboten.)
Hier werden die Zellen aus dem Blut isoliert und nach einer Salicylatexposition u.a. auf die freigesetzten Eikosanoide (Leukotriene und Prostaglandine) überprüft. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die LOX- und COX- Stoffwechselwege. Mit dem Ergebnis kann der Verdacht auf eine SI bestätigt oder entkräftet werden.4,6
Weitere interessante Informationen findest du im Beitrag: “Interview mit Prof. Dr. Baenkler zur Salicylatintoleranz“.
Mögliche Ursachen und Therapieoptionen der SI
Aufgrund des Umfangs wird dieser Abschnitt bald in separaten Blogartikeln erscheinen.
Teil 3: Entgiftung und Genetik
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Disclaimer
Die Inhalte dieses Artikels sind keine Medikamenten- oder Therapieempfehlungen. Diese Information dient lediglich der Aufklärung. Jegliche Veränderung einer Therapie ist mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.
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Danke für den ausführlichen Bericht.